Abweichungen – gesetzliche Möglichkeit mit Grenzen

Möglichkeit zur Abweichung im Bauordnungsrecht

Die im Bauordnungsrecht festgelegten Anforderungen zielen auf die Regelung von typischerweise anzunehmenden Gefahrenfällen ab; sie regeln den Regelfall. In der Baupraxis präsentieren sich jedoch häufig vom Regelfall abweichende Situationen und Anwendungsfälle, die damit auch eine Abweichung von den regelhaften Anforderungen notwendig machen. Diese Erkenntnis findet im Baurecht darin Ausdruck, dass die Musterbauordnung (MBO) grundsätzlich die Möglichkeit einräumt, von bauordnungsrechtlichen Anforderungen abzuweichen:


§ 67 Abs. 1 MBO:
„Die Bauaufsichtsbehörde kann Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und aufgrund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zulassen […]“


Rechtliche Voraussetzungen für Abweichungen

Die grundlegenden Voraussetzungen, die eine Abweichung rechtfertigen, sind ebenfalls in der MBO benannt, wobei für den konkreten Einzelfall stets auch die entsprechende Landesbauordnung (LBO) zu berücksichtigen ist:


Die Abweichung muss

  • den Zweck der jeweiligen Bauordnungsrechtlichen Anforderung berücksichtigen und
  • mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belangen vereinbar sein. (Vgl. § 67 Abs. 1 MBO)


Auch von technische Baubestimmungen ist eine Abweichung möglich, wenn

  • mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die Anforderungen erfüllt werden und
  • in der Technischen Baubestimmung eine Abweichung nicht ausgeschlossen ist. (Vgl. § 85a Abs. 1 MBO)


Sicherheitsniveau und Rest-Risiko

Da bei den ordnungsrechtlichen Anforderungen zu unterstellen ist, dass sie ein gesetzliches Mindestniveau an vorbeugendem Brandschutz sicherstellen, wird ein gleiches Maß auch bei Abweichungen in konkreten Einzelfällen gefordert. Es ist ein entsprechender Nachweis zu erbringen, dass mit der Abweichung die gesetzlichen Schutzziele vollumfänglich gewährleistet sind. Mehr allerdings auch nicht: Ein Restrisiko, gerade im Brandschutz, kann wie bei Anwendung des regelhaften Bauordnungsrechts auch bei Abweichungen nicht ausgeschlossen werden. Gleichzeitig kann eine Abweichung auch zu einem höheren Sicherheitsniveau führen, als es bei einer regelkonformen Ausführung der Fall wäre.


Warum werden Anträge auf Abweichung in der Praxis häufig abgelehnt?

1. Ermessensspielraum der genehmigenden Stellen

Durch die Entscheidungshoheit von Bauaufsicht und Prüfsachverständigen können auch nachgewiesenermaßen geeignete Abweichungen abgelehnt werden. Dies in manchen Fällen sogar ohne Begründung, da eine gesetzliche Begründungspflicht nicht überall besteht.


2. Angreifbare Argumentationskette

Grundsätzlich ist es nach einem Brandereignis häufig schwierig festzustellen, ob ein Schaden dem gesetzlich tolerierten Restrisiko entsprochen hat beziehungsweise welche Faktoren zur Schadensvergrößerung beigetragen haben könnten. Aufgrund dieser Unsicherheit in der Beweisführung stehen vorhandene, genehmigte Abweichungen schnell im Verdacht, zu solchen Schadensvergrößerungen beigetragen zu haben. Das führt dazu, dass es schon bei der Beurteilung von Brandschutzkonzepten Vorbehalte seitens der genehmigenden Stellen im Hinblick auf Abweichungen gibt.


3. Grundrechtsposition des Bauherren vs. Ermessensspielraum

Dem gesetzlich zugestandenen Ermessensspielraum der genehmigenden Stellen steht das verfassungsrechtlich zugesicherte Grundrecht auf Baufreiheit des Bauherren entgegen. Während bei der Frage nach der Erteilung einer Baugenehmigung die Landesbauordnungen vorsehen, dass eine Genehmigung zu erteilen ist, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften dem nicht entgegenstehen, so sieht es bei der Genehmigung einer nachgewiesenermaßen geeigneten Abweichung anders aus. Auch wird die eingeräumte Möglichkeit auf Abweichung in der Rechtsauslegung in der Regel nicht als Eigentumsinhalt gesehen, über den der Bauherr im Zuge der Baufreiheit verfügen kann. Diese Auslegung wird mittlerweile kontrovers diskutiert und steht der Rechtsauslegung gegenüber, die einen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung, wenn die Normvoraussetzungen vorliegen, als grundrechtlich begründet ansieht.


Fazit

Auch wenn eine ausführliche Dokumentation und Nachweisführung kein Garant für die Genehmigung einer Abweichung ist, so ist ausdrücklich dazu zu raten. Nur so kann auch im Schadensfall angemessen auf eine mögliche Mängelinterpretation genehmigter Abweichungen reagiert werden. Auch der Bauherr oder dessen Vertretung ist stets einzubeziehen.

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